Das Fachgebiet eines Verhaltensveterinärmediziners beinhaltet alle Massnahmen der Diagnostik (Anamnese, klinische Untersuchung), der Erstellung eines mehrdimensionalen Behandlungsplanes einschliesslich der Verlaufskontrolle von Verhaltensauffälligkeiten und -störungen sowie deren Bewertung und Abschätzung der Folgen für das Umfeld der betroffenen Tiere. Er weiss um die Früherkennung und Prävention von Verhaltensauffälligkeiten und kann dieses Wissen vermitteln.

Benötigtes Fachwissen

1. Ethologie und Verhaltensbiologie gängiger Heimtierspezies

Kenntnisse über Entwicklung, Lebensweise, Sozialverhalten, Kommunikationsformen, kognitive Fähigkeiten und spezies-spezifische Anforderungen und Bedürfnisse ermöglichen dem Verhaltensmediziner, das Verhalten eines Tieres zu interpretieren und abzuschätzen, inwieweit sein Verhalten eine Anpassung an die jeweiligen Lebensumstände darstellt. Der Verhaltensmediziner muss in der Lage sein, festzustellen, ob die Haltung des Tieres seine speziesspezifischen Bedürfnisse respektiert und die Voraussetzungen dafür bietet, dass es sich wohlfühlen kann.

2. Neuroanatomie, Neurophysiologie

über das Basiswissen hinausgehende Kenntnisse in Anatomie und Physiologie des ZNS sowie Kenntnis der Stoffe, die der Nachrichtenübermittlung dienen (z.B. Neurotransmitter, Hormone, Pheromone), sind nötig, um die Beteiligung dieser Strukturen an der Entstehung der beobachteten Verhaltensweisen abzuschätzen. Besonders wichtig sind in diesem Zusammenhang die Vorgänge bei der Schmerzleitung, beim Stressgeschehen und beim Aggressionsverhalten.
Weiterhin sind diese Kenntnisse Voraussetzung für das Verständnis der Psychopharmakologie und dem korrekten Einsatz von Psychopharmaka.

3. Psychopharmakologie

Das Wissen um Struktur, Wirkungsweise, Nebenwirkungen und Abbau von Substanzen, die Verhaltensweisen beeinflussen können, ist unabdingbar für den korrekten Umgang und den korrekten Einsatz dieser Substanzen. Geforderte Kenntnisse betreffen auch Interaktionen zwischen Psychopharmaka und anderen Stoffklassen.

4. Psychopathologie

Kenntnisse elementarer pathologischer Prozesse wie Phobien, Angststörungen, Dysthymien, Depressionen, und deren Leitsymptome, unter Berücksichtigung spezies-spezifischer Unterschiede, sind in Verbindung mit genauen Kenntnissen in der Inneren Medizin/Neurologie Voraussetzung für die Diagnostik dieser Störungen.

Im Einzelnen:

Entwicklungsbedingte Störungen
Deprivationssyndrom
Trennungsangst
Hyperaktivität/Hypersensibilität
Dyssozialisation

Angststörungen
Einfache Phobien
Multiple Phobien
Generalisierte Angststörungen
Angststörungen auf Grund von Deritualisation
Sekundäres Hyperattachment

Affektive Störungen

Akutes posttraumatisches Stresssyndrom
Depressive Störungen
Unipolare Störungen

Repetitive Verhaltensweisen

Kognitive Störungen
Kognitive Dysfunktion

Störungen der sozialen Organisation
Hierarchiebezogene Störung

Persönlichkeitsstörungen
Abhängige Persönlichkeitsstörungen
Dyssoziale Persönlichkeitsstörungen
Impulsive Persönlichkeitsstörungen

5. Humanpsychologie

Zur Herstellung einer vertrauensvollen und kooperativen Beziehung mit den Tierhaltern muss der Verhaltensmediziner über Kenntnisse in der Humanpsychologie verfügen, wie

  • Empathie
  • Compliance
  • kognitive Dissonanz
  • Einstellung

6. Therapiemöglichkeiten

Um einen Therapieplan erstellen zu können, muss sich der Verhaltensmediziner in den verschiedenen Therapiemöglichkeiten und deren Kombination auskennen, wobei nicht nur das Tier mit seinem Verhalten allein berücksichtigt werden muss, sondern auch sein Umfeld. Zu diesen Therapiemöglichkeiten gehören:

  • Interviewtechniken
  • Anwendung pharmakologisch wirksamer Substanzen:
    Indikationen - Kontraindikationen
  • Anwendung von Pheromonen
  • Verhaltenstherapien und Techniken
  • Einsatz von Hilfsmitteln
  • kognitive Therapie
  • systemische Therapie
  • ökoethologische Therapie.

Des Weiteren soll er den Einsatz von möglichen komplementäre Therapien kennen.

7. Praktischer Umgang

Der Verhaltensmediziner muss über Kenntnisse im praktischen Umgang mit der jeweiligen Tierspezies verfügen. Dazu gehört ein fundiertes Wissen über Erziehung und Training der jeweiligen Spezies und entsprechende praktische Fähigkeiten.

8. Legislatur

Der Verhaltensmediziner muss sich in der Gesetzgebung hinsichtlich des Tierschutzes sowie hinsichtlich der Vorgaben zur Haltung von Hunden auskennen. Eine besondere Aufgabe der Verhaltensmedizin stellt dabei die Einschätzung der Gefährlichkeit eines Hundes dar. Dazu gehört, dass der Verhaltensmediziner eine Risikoeinschätzung in Bezug auf das soziale Umfeld des Hundes vornimmt, die Entscheidung über die Durchführbarkeit einer Therapie im Rahmen dieser Einschätzung trifft und, wenn erforderlich, darüber ein korrektes Gutachten verfassen kann.

9. Ethik

In seiner Arbeit wird der Verhaltensmediziner oft mit ethischen Fragen konfrontiert und sollte sich mit der Thematik auseinandersetzen.

10. Wissenschaftliches Arbeiten

Vom Verhaltensmediziner wird erwartet, dass er

  • Gutachten verfassen kann
  • fähig ist, Fälle zu dokumentieren
  • wissenschaftliche Abhandlungen verfassen und publizieren kann
  • sich kontinuierlich fortbildet
  • mit anderen Berufsgruppen zusammen arbeiten und andere Wissensbereiche kritisch evaluieren kann und
  • zur Arbeit in einem multidisziplinären Team fähig ist.